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Haushaltsrede zu HH 2011/2012 02.12.2010
Die Unwirtlichkeit unserer Städte oder wie viel Einsparungen verkraftet eine Stadt im Hinblick auf ein soziales Klima?
(frei nach Alexander Mitscherlich) es gilt das gesprochene Wort
Von Menschen gestaltete Städte wirken auf die Bewohner zurück. Sie wirken wie Prägestöcke, sie verändern unser Verhalten und unser Wesen.
Statt ein konstruktives Miteinander zu fördern, kämpfen die Städte heute ums Überleben. Sie sind kaum noch in der Lage, ihre Pflichtaufgaben zu leisten. Aufgetürmte Schuldenberge und Konsilidierungszwänge erdrücken unser Gemeinwesen. Noch immer regt sich bei den Herrschenden in dieser Stadt kein Widerstand, ergeben fügt man sich den vermeintlichen Sachzwängen. Nahezu zwanghaft reiht man Sparbeschluss an Sparbeschluss und kann doch nicht verhindern, dass das öffentliche Eigenkapital abschmilzt, wie ein Eisblock im Sommer.
So wie wir unser Umfeld gestalten, wirkt dies auf die Menschen und ihr Zusammenleben zurück. Bürgerinnen und Bürger haben die Finanzkrise und Weltwirtschaftskrise auszubaden und ein Ende ist immer noch nicht in Sicht. Bürgerinnen und Bürger sind mit der Politik nicht mehr einverstanden, die sogenannten Pflichtaufgaben wie Jugendbereiche, Senioren- und Behindertenarbeit, Gesundheitshäuser, Integrationsarbeit, Bildung und Kultur zusammenstreicht.
Seit der Verabschiedung des Haushaltes 2010 erst im Mai d.J. sind nur wenige Wochen vergangen, doch schon ergeben sich extreme Abweichungen bei einzelnen Ansätzen für das Jahr 2011 im Vergleich zum damaligen Finanzplan. So rechnete unser Kämmerer im September d.J. mit Mehreinnahmen von gut 5,3 Mio. EURO. Die Mehreinnahmen hätten vor allem mit der konjunkturellen Verbesserung zu tun und Einkommen- und Gewerbesteuer seien gestiegen. Mit eingerechnet seien bereits Verbesserungen bei den Schlüsselzuweisungen des Landes. Einen erheblichen Teil würden auch die derzeit niedrigen Zinsen auf Kredite ausmachen. Ferner haben die Stadtwerke gute Umsätze gemacht, was ebenfalls dem Stadtsäckel zugute kommt. Durch Konzessionsabgaben usw. seien hier allein 700 bis 800.000 Euro mehr zu erwarten.
Durch Verbesserung der Einnahmesituation kann der Kämmerer – gestützt von der großen Koalition und unserem Bürgermeister – dann schon auf die Idee kommen, nach weiteren Einnahmequellen zu suchen. Fündig wurden sie bei den Bürgerinnen und Bürgern, die jedes Jahr knapp 1 Mio. EURO an zusätzlichen Nutzungsentgelten, die in Abwassergebühren einfließen, zahlen sollen.
Nutzungsentgelt SAL (ohne Oppositionsparteien ... und uns)
Ein weiterer Lichtblick für verschuldete Kommunen ohne Hoffnung auf Besserung könnte sein, dass die rot-grüne Landesregierung Soforthilfen plant und die starren Regeln für 2011 lockern will. Im Gesetzesentwurf zur Gemeindeordnung streicht Rot-Grün die Drei-Jahres-Frist, in der Städte mit Haushaltssicherungskonzept (HSK) der Bezirksregierung einen ausgeglichenen Etat vorlegen müssen. Die betroffenen Kommunen sollen sich bei der Finanzierung von Zukunftsinvestitionen in Bildung, Klimaschutz und für Sozialprojekte wieder freier bewegen können. „Sparen müsse dabei aber weiter erste Priorität haben". Unser Kämmerer sieht allerdings für unsere Stadt keinen Handlungsbedarf.
Dieses Ansinnen Sozialprojekte zu finanzieren konterkariert in Lünen in ganz erheblicher Weise mit der Finanzierung des Projektes „Soziale Stadt Gahmen":
(Haushaltsausschuss der schwarz-gelben Bundesregierung am 11.11.2010 streicht Mittel zusammen: aus Petition an den Deutschen Bundestag)
Gegendarstellung aus Grüner Sicht:
Das Programm "Soziale Stadt" ist ein zentraler Bestandteil der Stadtentwicklungspolitik des Bundes. Es richtet seine Aufmerksamkeit auf städtebaulich, wirtschaftlich und sozial benachteiligte Quartiere. Ziel ist es, problematischen Entwicklungen entgegen zu wirken und Städte und Gemeinden bei der Bewältigung der Folgen des demografischen und wirtschaftlichen Wandels zu unterstützen. Die Aufgaben sozialer Stadtentwicklung sind vielfältig: Neben der Verbesserung des Wohnumfeldes, geht es insbesondere auch darum, Integration und sozialen Zusammenhalt zu fördern. Um diesem umfassenden Ansatz gerecht zu werden, verbindet das Programm bauliche Investitionen der Stadterneuerung mit Maßnahmen zur Förderung von Bildung, Beschäftigung und Integration. Auf fachübergreifende Kooperation ausgelegte, integrierte Entwicklungskonzepte waren bisher die Grundlage dieses Stadtentwicklungsprogramms. So steht es auf der Webseite des Bundesbauministeriums. Der Haushaltsausschuss der schwarz-gelben Bundesregierung jedoch streicht am 11.11.2010 die Gelder zusammen und konzentriert sie auf überwiegend investive Mittel. Die Probleme in sozial benachteiligten Stadtteilen sind Ausdruck jahrzehntelanger gesellschaftlicher Fehlentwicklungen, die nur mit beharrlichem und kontinuierlichem Einsatz korrigiert werden können. An dieser Stelle den Rotstift anzusetzen, ist absolut kontraproduktiv.
Grüne fordern: Projekt Soziale Stadt erhalten
Der integrative Ansatz des Programms „Soziale Stadt" hat in den letzten 10 Jahren erheblich dazu beigetragen, die Abwärtsspirale abgehängter Quartiere zu stoppen und positive Entwicklungen anzustoßen. Zentrale Fragen der Gesellschaft wie die Integration und Bildung werden in diesen Quartieren zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern bearbeitet. Integrationsprojekte wie die Stadtteilmütter, Bildungszusammenschlüsse von Schulen, Kindertagesstätten und Bewohnervereinen, Ausbildungsprojekte für Jugendliche sind entstanden und wären durch die Kürzungen bedroht.
Hier bietet sich ein breites Entwicklungsfeld, das passgenau auf die einzelnen Stadtteile zugeschnitten werden kann und zwar durch direkte Einflussnahme der dort lebenden Menschen. Aus bereits jahrelangen Erfahrungen in diesen Projekten kann man den Schluss ziehen, dass die Unterstützung in soziale Zusammenhänge eine nachhaltige Wirkung auch auf das Gesamtklima einer Stadt erzielt.
Gingen wir logisch vor, läge unsere Aufmerksamkeit beim Projekt Soziale Stadt Gahmen darin, finanzielle Mittel z. B. für einen Stadtteilmoderator, zur Verfügung zu stellen. Das böte eine Chance, die dort vorhandenen, breiten Ressourcen zu koordinieren und weiter zu entwickeln. Auch das Thema „Einführung eines Bürgerhaushaltes auf Stadtteilebene" als Modellprojekt läge gar nicht so fern.
Doch in Lünen sind wir weit entfernt von derartigen Gedankengängen. SPD und CDU legen nach wie vor ihre Schwerpunkte in Backsteine und Straßenerneuerung.
Für Lüner Grüne stellt sich da noch einmal die Frage der Abwägung:
Spagat zwischen der Entscheidung zu „Stadtumbau West" – Sanierung und Aufwertung der Fußgängerzone und Soziale Stadt Gahmen und:
sind ökonomische Auswirkungen durch Zukunftsinvestitionen für ein soziales Klima in der Stadt förderlich?
Entsteht dadurch eine Beseitigung der Unwirtlichkeit einer Stadt?
Angesichts des Schreckgespenstes „Nothaushalt", wurden von der Ratsmehrheit Angstentscheidungen getroffen, die das Tor zur sozialen Kälte in dieser Stadt weit aufmachen. Es schien, als hätten sich allzu viele politisch Verantwortliche das Motto „Lieber die Stadt selbst ruinieren, so kann ein von außen verordnetes Nothaushaltskonzept dies nicht tun", zu eigen gemacht. So mussten und müssen die Bürgerinnen und Bürger ungefragt Kürzungen auf der einen Seite und erhöhte Gebühren auf der anderen Seite hinnehmen.
Wer jedoch in der Vergangenheit den Investitionsbedarf nur nach bereitgestellten Fördermitteln ausrichtete, ohne darauf zu schauen, welche Bedarfe, welche Bedürfnisse sich in der Stadt tatsächlich zeigen, ist auf das Niveau von Schnäppchenjägern gesunken und hat Gelder vertan, die jetzt in Bereichen fehlen, die Basis und Herzstück für die Lebensqualität in Lünen sind: Jugend, Soziales, Kultur. Hier den Rotstift anzusetzen fiel scheinbar besonders leicht, weil sich die Wertschöpfung nur begrenzt buchhalterisch darstellen lässt. Demzufolge verschleppen sich inhaltliche Diskussionen und visionäre Konzeptentwürfe in den genannten Bereichen, die maßgeblich und ursächlich ausschlaggebend dafür sind, ob eine Stadt trotz Sparmaßnahmen lebens- und liebenswert bleibt oder sozial ausblutet.
Die Beteiligung der Bürger am Haushaltskonzept ist gerade in Zeiten der schwierigen kommunalen Finanzlagen Bedingung dafür, dass sich die Bürger und Bürgerinnen ernst genommen fühlen, ihre Bedürfnisse einbringen und ihre Bereitschaft und Engagement bekunden können, dort beizutragen, wo es ihnen wichtig und machbar erscheint.
Es ist Zeit, endlich neue Wege zu gehen:
Forderung nach Konzept Bürgerhaushalt.
Grüne fordern ein Konzept zur stärkeren Beteiligung der Bürgerschaft in der Haushaltskrise. Wir wollen dort ansetzen, wo die Stärken sind. Es gibt Bürgerinitiativen, Stadtteilbeiräte, den Beirat Soziale Stadt Gahmen, Parteien und deren Jugendorganisationen, Wählergemeinschaften, den Lüner Dialog zur Förderung der Integration, Fördervereine in Schulen, Musikschule und Theater. Bürgerhaushalt trifft nicht auf unvorbereitete Bürgerinnen und Bürger. Aber um ordentliche Ehrenamtsarbeit zu leisten braucht man verlässliche Mittel und mindestens Rahmenvorgaben auf Lünen zugeschnittener Konzepte.
Nicht zuletzt kann ein Bürgerhaushalt erheblich dazu beitragen, Politikverdrossenheit zu begegnen, dass sich Bürgerinnen und Bürger stärker mit ihrer Stadt identifizieren, sich für öffentliche Belange stärker interessieren und engagieren. Das setzt jedoch auch voraus, dass sich die Koalition aus SPD und CDU nicht in ihr Hinterzimmer mit Bürgermeister und Verwaltungsspitze zurückzieht und ohne Beteiligung der Fachausschüsse einen Haushalt zusammenstrickt, der weder von der Opposition noch von den Bürgerinnen und Bürgern als nachvollziehbar geschweige denn transparent zu bezeichnen ist.
Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass Grüne diesem Haushalt ohne ordentliche Beteiligung heute zustimmen werden.
Ebenfalls ohne große Auseinandersetzung und Beteiligung wollen Sie heute einen Stellenplan verabschieden, den wir – wie in der Vergangenheit auch - nicht mittragen werden.
Auch nicht, wenn Sie, Herr Bürgermeister, mit einer Neuregelung der Gewährung von Altersteilzeit winken. Durch Nothaushaltsrecht und Mutter-Spar-Konzept ist eine Verwaltung entstanden, die nicht mehr schlank ist, sondern ihrer Aufgabenstellung in vielen Bereichen nicht mehr gerecht wird. Aufgabenverzicht bedeutet Verdichtung von Arbeit oder sogar vollständiger Wegfall von Leistungen. Überlastungsanzeigen der Mitarbeiter sprechen dabei für sich. Über diesen Fakt täuscht auch eine Verwaltungsvorlage nicht hinweg, die dort sagt: "Die Gesamtzahl der Stellen in der Kernverwaltung erhöht sich im Vergleich zum Vorjahr um insgesamt 20 Stellen und beläuft sich nunmehr auf 744 Stellen.
Die in der Vorlage dargestellten Stellen sind aus Sicht der Verwaltung zwingend erforderlich, um eine rechtmäßige Aufgabenerfüllung sicherzustellen und um auf gesellschaftliche Entwicklungen angemessen reagieren zu können."
In unserer letzten Haushaltsrede haben wir schon auf Folgendes hingewiesen, wir scheuen uns nicht vor Wiederholungen:
Erinnern Sie sich: Sie forderten und beschlossen - bevor Sie die Fachbereichsleiterebene abgeschafft haben - einen 3. Beigeordneten mit Sekretärin. Nun kommen Sie auf die Idee (weil sie auf eine längerfristige Planung ein kurzes Augenmerk getroffen haben) einen 4. Beigeordneten für mindestens zwei Jahre zu installieren. Wie wollen Sie denn nach den 2 Jahren die Verwaltungsspitze nach welchen Kriterien, Kompetenzen und Fachgebieten ordnen? Sie denken doch nicht, dass wir irgendeiner Aussage heute hier Glauben schenken? Wir wissen, dass SPD in Koalition mit der CDU die Mehrheit hat, dass der Bürgermeister nicht hinter einem nachhaltigen Stellenplan steht und dass wieder einmal durch gewunken wird.
Schlussbetrachtung:
In Anlehnung an Alexander Mitscherlich verweigert sich ihre Politik der Erkenntnis menschlicher Motive, der Kenntnis menschlicher Grundbedürfnisse und der Deutung menschlichen Verhaltens. Eine Gegensteuerung ist unerlässlich: das Individuum wird sich seine Identität nur bewahren können, wenn die Möglichkeit zur Pflege kontinuierlicher mitmenschlicher Beziehungen verstärkt wird. (A. Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte, Seite 44, 1965)
Lassen Sie mich an dieser Stelle allen Bürgerinnen und Bürgern danken, die sich einer grünen Politik der Nachhaltigkeit nicht verschließen und mit uns bei vielen Gelegenheiten einen durchaus kontroversen Dialog führen. Danke meinen Freundinnen und Freunden der Gesamtfraktion für eine alternative Haushaltsberatung. Horst - mit dem ich über Politik gerne diskutiere – Danke ich für seinen Buchtipp: Alexander Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte.
Erika Roß, Fraktionssprecherin
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