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Am vergangenen Freitag kamen die Grünen zu einem Kolloquium zum Thema Bürgerhaushalt zusammen.
Nachdem die Grünen sich seit Jahren für mehr Bürgerbeteiligung eingesetzt haben, wurden im Dezember die Weichen für Lünen gestellt. Aufgrund eines Antrages von Bündnis 90/ Die Grünen in den Haushaltsplanungen für die Jahre 2011/ 2012, wurde das Thema fraktionsübergreifend beraten und gemeinsam beschlossen, die Verwaltung mit der Erarbeitung eines Konzeptes zu beauftragen.
In underer internen Veranstaltung am 18.03.2011 beschäftigten wir uns in der Gesamtfraktion mit den verschiedenen Modellen eines Bürger-Beteiligungshaushaltes. Von den unterschiedlichen Ansätzen der Partizipation, über die Phasen und Instrumentarien eines Bürgerhaushaltes, bis hin zu möglichen Risiken wurden die Mitglieder fachkundig informiert.
Aus den Diskussionen ergab sich im Besonderen, dass es wichtig sein wird, ein speziell auf die Bedürfnisse der Lüner BürgerInnen zugeschnittenen Konzept zu entwickeln, d.h. die individuellen Gegebenheiten unserer Stadt in den Vordergrund zu stellen. Eine einfache „Modellübertragung“ wäre hier zu kurzfristig gedacht, denn spezifische Besonderheiten Lünens erfordern Individualität und passgerechten Zuschnitt, um einen Bürgerhaushalt erfolgreich und nachhaltig einzubringen.
Hierfür wird es wichtig sein, dass alle Fraktionen und die Verwaltung gemeinsam an diesem Thema arbeiten werden.
Dabei ist es für uns Grüne oberste Priorität, dass die BürgerInnen echte Gestaltungsmöglichkeiten erhalten und sich nicht nur mit Sparvorschlägen beschäftigen sollen. Zudem soll ein starker Fokus auf die Stadtteile gelegt werden, denn nur so können lokale Bedürfnisse und Wünsche am besten transportiert werden. Dreh- und Angelpunkt für die Umsetzung eines Bürgerhaushaltes wird neben der Entwicklung eines leicht lesbaren Haushaltes das Angebot passender Instrumentarien sein. D.h., um möglichst viele Bürger zur kreativen Mitgestaltung zu gewinnen, wünschen sich die Grünen neben Internet oder Fragebögen auch Möglichkeiten wie z.B. Arbeitskreise oder Bürgerversammlungen.
(nach: Herzberg, Carsten; u. A.: Was ist ein Bürgerhaushalt? 2007, bürgerhaushalt.org)
Der Bürgerhaushalt ist das erfolgreichste Partizipationsinstrument der letzten 15 Jahre.
Was aber ist ein Bürgerhaushalt konkret und wie lässt sich ein solches Verfahren am besten definieren? Warum braucht man überhaupt eine Definition?
An erster Stelle ist hier ein praktischer Grund anzuführen: Eine Definition ermöglicht, dass Akteure, die sich über den Bürgerhaushalt austauschen möchten, über den gleichen Gegenstand reden und ihn nicht mit anderen Formen der Beteiligung verwechseln. Aus wissenschaftlicher, aber auch aus praktischer Sicht, vereinfacht eine Definition darüber hinaus den Vergleich. So können Bürgerhaushalte aus großen, kleinen oder aus Städten mit ähnlichen Rahmenbedingungen miteinander verglichen werden, um daraus Empfehlungen für die Praxis abzuleiten.
Das wichtigste Argument für eine Definition aber ist, die Besonderheit des Bürgerhaushalts aufzuzeigen: Der Bürgerhaushalt stellt eine neue Qualität der Beteiligung dar, die insbesondere durch die Rechenschaftslegung über den Umgang mit den Vorschlägen der Bürger erreicht wird. Allerdings muss dieses Kriterium durch weitere ergänzt werden, bevor man von einem Bürgerhaushalt sprechen kann.
Bisher gab es keine eindeutige Definition dessen, was einen Bürgerhaushalt ausmacht. Einige Akteure bezeichnen bereits Informationsbroschüren als Bürgerhaushalt, andere benutzen den Begriff exklusiv für das Verfahren von Porto Alegre, bei dem es um eine Beteiligung am Investitionshaushalt geht. Daneben gibt es Beteiligungsverfahren, die einen anderen Namen tragen, vom Prinzip her jedoch einem Bürgerhaushalt entsprechen. Aus dieser Situation heraus, möchte ich eine Definition vorschlagen, die auf der einen Seite einfach genug für die praktische Anwendung ist, auf der anderen aber ausreichend Spielraum für unterschiedliche Varianten des Bürgerhaushalts lässt. Ich greife hier die Definition auf, die wir im Projekt „Europäische Bürgerhaushalte“ mit unseren Kooperationspartnern aufgestellt haben und mit der bereits Praktiker und Wissenschafter in verschiedenen Ländern arbeiten.
1. Im Zentrum der Beteiligung stehen finanzielle Angelegenheiten der Stadt.
2. Die Beteiligung findet auf einer Ebene mit den politischen und administrativen Kompetenzen der Stadt statt. Bedeutet, dass der Bürger an den Entscheidungen im Rat und Verwaltung beteiligt werden soll. Ein Stadtteilfonds allein, ohne Partizipation auf der gesamtstädtischen Entscheidungsebene, ist kein Bürgerhaushalt.
3. Es handelt sich um ein auf Dauer angelegtes und wiederholtes Verfahren. Ein einmaliges Referendum zu haushalts‑ oder steuerpolitischen Fragen ist kein Bürgerhaushalt.
4. Der Prozess beruht auf einem eigenständigen Diskussionsprozess, der mittels Internet oder Versammlungen bzw. Treffen geführt wird. Eine schriftliche Befragung allein ist demnach kein Bürgerhaushalt. Ebenso nicht die bloße Öffnung bestehender Verwaltungsgremien oder Institutionen der repräsentativen Demokratie.
5. Die Organisatoren müssen Rechenschaft in Bezug darauf ablegen, inwieweit die im Verfahren geäuβerten Vorschläge aufgegriffen und umgesetzt werden.
Es gibt kein einheitliches „Verfahren Bürgerhaushalt“. Je nach Umfang und Tiefe der Beteiligung können die nachfolgend beschriebenen Effekte erreicht werden. Dies gelingt umso erfolgreicher, wenn der Bürgerhaushalt mehrere Phasen mit den dazu gehörigen öffentlichen Versammlungen umfasst, auf denen Informationen zur Verfügung gestellt, Argumente diskutiert und Vorschläge unterbreitet werden.
1. Zeitgemäße Form des Regierens:
Entscheidungen werden in der komplexen Welt von heute nicht mehr allein von Regierungen alleine gefällt, sondern durch ein Zusammenwirken vielfältiger Kräfte in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Der Bürgerhaushalt ist ein Forum zur Umsetzung dieser neuen Governance.
2. Stärkung der Problemlösungskompetenz:
Mehr Köpfe als bisher machen sich über den Haushalt Gedanken. Statt nur einige Dutzend – für gewöhnlich Expertinnen und Experten aus Rat und Verwaltung – bringen sich zusätzlich hunderte von Bürger/-innen ein. Der Bürgerhaushalt kann eine Ressource sein, die zusätzliche Kompetenzen und Ideen bereithält.
3. Mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten:
Für die Bürger/-innen bietet der Bürgerhaushalt eine neue Möglichkeit, sich außerhalb von Wahlen in das öffentliche Leben einzubringen. In direktem Kontakt mit Politik und Verwaltung entsteht ein Austausch darüber, welche Dienstleistungen benötigt und in welcher Form sie angeboten werden sollen.
4. Bessere öffentliche Leistungen:
Bürger/-innen nehmen täglich öffentliche Dienstleistungen in Anspruch. Rückmeldungen über ihre Erfahrungen und Wünsche bieten für Politik und Verwaltung eine Chance, ihre Dienstleistungen zu verbessern. Politik und Verwaltung können hierzu gezielt Fragen stellen.
5. Abbau von Politiker- und Bürgerverdrossenheit:
Durch die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Haushalt können Vorurteile gegenüber der Politik abgebaut werden. Zudem bietet der Bürgerhaushalt Politiker/-innen Gelegenheit, die Interessen der Bürger/-innen besser kennen zu lernen.
6. Identität:
Eine Diskussion über den Haushalt ist letztlich immer mit Fragen des Allgemeinwohls verbunden.
Ein Bürgerhaushalt kann dazu genutzt werden zu verdeutlichen, wie wir in unserer Stadt gelebt haben und wie wir in Zukunft in ihr leben wollen. Dies führt zu einer stärkeren Identifikation mit der Stadt, aus der die Bereitschaft für ein breiteres Engagement erwachsen kann.
7. Bürgerschaftliches Engagement:
Ohne Ehrenamt würde es viele Angebote in Kommunen nicht geben. Ein offener Umgang mit den Finanzen würdigt das Ehrenamt. Die Möglichkeit der Mitsprache über den Haushalt kann nicht zuletzt die Bereitschaft zur ehrenamtlichen Mitarbeit stärken.
8. Konsens in Zeiten knapper Kassen:
Ein Bürgerhaushalt bietet die Möglichkeit, mit allen Betroffenen Alternativen zu diskutieren und Wirkungen aufzuzeigen. Die Gründe für anstehende Entscheidungen werden in der Öffentlichkeit frühzeitig transparent gemacht, Konflikte können vermieden werden.
9. Politische Bildung:
Die Veranstaltungen des Bürgerhaushaltes bieten für Bürger/-innen eine Gelegenheit, mehr über die Arbeitsweise von Politik und Verwaltung zu erfahren. Wer über die Zuständigkeiten informiert ist, findet für seine Anliegen schnell den/die richtige/n Ansprechpartner/-in.
10. Sichtbarkeit:
Wer heute mit neuen Formen der Demokratie beginnt, wird national und international als Vorreiter für Innovation wahrgenommen werden. Insbesondere gilt das, wenn an einem Erfahrungsaustausch in Netzwerken teilgenommen wird.
(Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung: Bürgerhaushalt in Großstädten Bonn 2005)
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