Reise in die Vergangenheit oder: Warum ich noch immer nicht stricken kann

Burkhard Stüwe, „Gründungsvater“: 1978, vor 32 Jahren, und doch wie gestern: Ich sitze, damals 23 Jahre jung, an meinem Schreibtisch in der Lippestr. 97 in Lünen und lese von Bestrebungen, die zahlreichen Umweltinitiativen in Deutschland zu vereinigen. Ich sehe mich noch mit geschürzten Lippen dasitzen und wohlwollend nicken. Das sei eine gute Idee, fand ich, wie ich auch danach alle Aktivitäten, die der Bündelung politisch fortschrittlicher Kräfte dienen, unterstützt habe. Ich schreibe, telefoniere, finde Kontakte zu Menschen, die, wie ich, der Meinung sind, daß man den demokratischen Widerstand zu einer gesamtgesellschaftlichen Kraft verbinden müsse, daß eine reine Segmentpolitik (also nur Umweltschutz) wenig erreiche, weil sie eben keine umfassenden gesellschaftlichen Alternativen biete.

09.01.11 –

Was ich nicht wissen konnte: daß aus diesen mühselig aufgebauten und gepflegten Kontakten (es gab noch kein Internet, und twittern war bestenfalls dem Sprachschatz eines Ornithologen mit Englischkenntnissen zuzuordnen) die bundesweite Gründung der Grünen erwachsen sollte. 1980 war es dann soweit: Gesine Sundermann, die Moritz-Brüder und ich waren als Delegierte beim Gründungskongress in Karlsruhe dabei. Hinter uns lagen endlose Diskussionen auf NRW-Ebene, meist in Düsseldorf, manchmal mit einem Mitstreiter namens Joseph Beuys, mit strickenden Männern in Norwegerpullovern und Frauen in wallenden Gewändern. Der Kreisverband Unna und der Ortsverband Lünen waren längst gegründet, die Funktionärsposten wurden (noch lange, bevor ein bekannter Bayern-Trainer die Rotation erfand) reihum besetzt.

 

2010, 30 Jahre später: Ich werde zu einem Besuch bei unseren heutigen grünen Nachfolgern eingeladen, in ein Büro, von dem wir früher nicht einmal zu träumen gewagt hatten (wenn auch noch immer eine Kaffeemaschine fehlt). 30 Jahre später ist keine/r der Frauen und Männer der ersten Stunde mehr dabei. Als letzte ist Gesine vor wenigen Jahren ausgeschieden, die nicht wollte, daß deutsche Soldaten wieder in fremden Ländern agieren. Früher haben wir einen Afghanen geraucht, nicht bekämpft. 30 Jahre später „residieren“ die Grünen im Schatten der Lippebrücke auf dem selben Flur wie die FDP – allein diese Vorstellung hätte früher bei uns verstärkten Pickelbefall ausgelöst.

Die Zeiten haben sich geändert. Joseph Beuys ist lange tot; Rudi Dutschke an den Spätfolgen des Attentats, das ein Bild-„Zeitungs“-Aufgehetzter verübte, gestorben; Joschka Fischer berät inzwischen den Autokonzern, dessen Produkte er früher mit Steinen beworfen hat; und die grünen Männer haben das Stricken verlernt. Joschka hat früher nie gestrickt.

Meine Grünen sind nicht mehr meine Grünen. 1982 bin ich in den Süden gezogen. Deutsche Soldaten führen in Afghanistan einen aussichtslosen Kampf, und die Grünen haben die Hartz IV-Gesetzgebung mitverbrochen, gegen die ich heute kämpfe. In den Augen vieler haben sich die Grünen zu einer Bionade-FDP „entwickelt“. In NRW haben sie jüngst mitgeholfen, die Förderung von Arbeitslosenstrukturen aufleben zu lassen, übersehen aber dabei, daß gerade die Betroffeneninitiativen wie Tachless e.V. in Wuppertal der Unterstützung bedürfen; stattdessen werden Beschäftigungsträgerkonsortien gefördert, die mit 1-Euro-Jobs Arbeisplätze verhindern. Während der rotgrünen Regierungszeit sind die Reichen noch reicher, die Armen noch ärmer geworden. Mit der Diskussion über eine nicht willkürliche, den wirklichen Bedürfnissen der Betroffenen gerecht werdende Höhe des Eckregelsatzes scheinen sie überfordert. Die Chance, sich ein soziales Profil zuzulegen, haben sie bislang verpaßt.

 

Meine Grünen sind nicht mehr meine Grünen. Mittlerweile befindet sich mein Schreibtisch zwischen Starnberger See und Tegernsee, ich bin inzwischen Kommunikationswissenschaftler, Funktionär in der außerparlamentarischen Sozialpolitik, und 55 Jahre alt. Aber ich schürze wieder die Lippen und nickte wohlwollend, denn ich kämpfe derzeit für eine bevorstehende Vereinigung sozialpolitischer Betroffeneninitiativen mit anderen demokratischen Widerstandskräften wie der Anti-AKW-Bewegung und den Stuttgart 21-Aktivisten/innen, weil nur starke Kräfte etwas verändern können. Diese neue Bewegung könnte „Demokratischer Frühling“ heißen, wir werden sehen. Was daraus entsteht, können wir noch nicht wissen. In gewisser Weise ist es wie damals, vor 32 Jahren.

 

Meinen heutigen Mitstreitern/innen habe ich versprochen, niemals stricken zu lernen. Die Vorurteile von gestern sind bisweilen die Ängste von heute. Und Zeiten ändern sich niemals vollständig. Menschen auch nicht. Und bei meinem nächsten Besuch in der grünen Geschäftsstelle werde ich vielleicht eine Kaffeemaschine vorfinden. Und wenn alles gut läuft, werden wir einen schwarzen Afghanen rauchen. Mit der FDP.

 

Wer mich erreichen möchte, kann dies gern unter bstuewe1@web.de tun. Ich würde mich freuen.

 

Burkhard Stüwe, „Gründungsvater“

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